14. Juni 2010

Aufbrüche

Sie war's: Taren | am: 14.06.2010 | 23:52 | Stempel: beobachtet, bitterschokolade, erkannt | Keine Gedanken »

Der Himmel hier oben im Norden ist doch anders. Er erstreckt sich höher und weiter, ist irgendwie größer, farbiger, zerrissener. Kaum ist die magische Grenze Hamburg passiert, sieht man an Baumkronen und Gräsern, wie der Wind auffrischt. Am Horizont malt Petrus mit härteren Farben, und stahlblau nähert sich im Osten die Nacht, während blutend und traurig der Tag im Westen entschwindet. Eine schmale Mondsichel, wie aufgehängt und dort vergessen, verliert sich in den verschwimmenden Rottönen, und über allem wacht ein einsamer Stern. So einen Himmel gibt es nur im Norden.
Eine wundervoll intensive blaue Stunde empfing mich in meiner (Wahl-)Heimatstadt. Hier gibt es wieder nur Busse, und deren Taktung ist so niedrig nachts, daß mich mein Weg nach Hause doch auf meinen eigenen Füßen erwartete, was jedoch angesichts der Melancholie und Wehmut in der Dämmerungszeit hier in dieser grautrüben Stadt nicht störte. Es ist deutlich kühler hier, windiger, abweisender – aber ich fühle mich daheim. Und es ist auch schön, nach Hause zu kommen.

Das Wochenende war wieder einmal bereichernd und nachdenklich. Zwei wunderbare Abende mit so unterschiedlichen Menschen, intensive Gespräche, und immer dazwischen lange Stunden Zeit für mich im Zug. Da ich meine Musik in Kiel vergessen hatte, war da so viel Raum zum nachdenken, was teilweise gut, teilweise auch schwierig war. Besonders die fünfstündige Rückfahrt heute barg viele Gedanken in sich. Es ist ein seltsamer Schritt, wieder in die Psychiatrie in diesem Sommer, es ist ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß ich erneut Tag für Tag, sechs Wochen lang, in diesen Gebäuden, Umgebungen, Situationen stecken werde. Der Rundgang heute, auch über die Geschlossene, das „Sightseeing“, wie es mein Führer scherzhaft nannte, war spannend, interessant und – seltsam. Irgendwie sind solche Stationen überall gleich, und doch immer unterschiedlich. Es ist gut, daß dort die Räumlichkeiten so anders sind, sonst wäre es vermutlich schwieriger.
Auch so wird es schwer genug, auch das wurde mir heute mit Nachdrücklichkeit bewusst. Ich muss nicht nur den Anforderungen des Alltags genügen, lernen, arbeiten, freundlich, höflich und besonnen sein, ich muss dazu noch mit meinen eigenen Dämonen kämpfen, und das so, daß es niemand mitbekommt, vor allem nicht die Patienten. Ich muss meinen eigenen Ängsten begegnen, ich werde dort vor und mit ihnen musizieren, und dabei meine eigenen Hemmungen zurückstellen. Es wird nicht leicht, aber lehrreich – eben ein „Seitenwechsel“…

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