29. Juni 2011

Ach, fick‘ dich ins Knie, Melancholie.

Sie war's: Taren | am: 29.06.2011 | 20:09 | Stempel: bitterschokolade, hören | 2 Gedanken »

Aber so wie es war, wird’s nie wieder sein, und so wie es ist, wird’s nicht bleiben, und wie es dann wird kann vielleicht nur der bucklige Winter entscheiden…
Gisbert zu Knyphausen, „Seltsames Licht“

Prophezeiungen treffen manchmal mit beinahe verstörender Genauigkeit zu und schaffen damit eine Situationskomik, die lange noch bitter auf der Zunge verbleibt. Daß die Arzthelferin direkt eine Ärztin hinzuzieht, war zu erwarten, aber die immer wieder gleichen Fragen, die bei jeder Station erneut gestellt werden, ob ich stabil sei, wie lang das zurückliege, ob ich in stationärer Behandlung gewesen sei und jetzt grade einen Therapeuten habe, ob ich Medikamente einnehmen würde und damals drogensüchtig gewesen sei („Wirklich nicht?!“) zerren zunehmend an meinen Nerven. Es geht lediglich um eine Plasmaspende, aber mit meinem Aussehen werde ich behandelt, als würde ich grade mein Herz zur Transplantation freigeben. Sicherlich meint die Ärztin es nur nett, als sie mir anbietet, im Fall einer neuerlichen Krise und eines Rückfalls zu ihr zu kommen und mit ihr zu reden, aber vor dem Hintergrund der grade betonten Stabilität und Symptomfreiheit wirkt es wie Hohn. Ich behalte mein Lächeln auf den Lippen, nicke dazu und lasse mich zur Blutabnahme führen, wo erneut eine Schwester meine Arme betrachtet und kommentiert, wie schade das doch alles sei.
Der bittere Geschmack läßt mich nicht los, als ich das Center verlasse, in der Tasche einen Termin für die nächste Woche zur ersten Spende, schlußendlich also doch tauglich. Es ist ein erneutes Beispiel von gedankenlosem Umgang mit dieser Thematik im Alltag auch von Seiten des Fachpersonals, und neben all dem zynischen schwarzen Humors trifft es mich doch, ein wenig, obwohl ich es nicht zugeben will. Es ist eben immer ein Thema, in jeder Richtung – in dem betroffenen Schweigen, den verstohlenen oder offenen Blicken, in den behutsamen Nachfragen, was geschehen sei, im forschen Witz. Immer wieder lächle ich, betone, daß mich die Fragen nicht stören, lache, erkläre, und versuche dahinter zu vergessen, daß es mich noch immer trifft.
Es gibt keinen perfekten Umgang, nein, und vermutlich werde ich mich schlicht an den Schmerz gewöhnen müssen. Aber – manchmal wäre ich einfach gern normal. Ohne sie.
Ich schlucke es hinunter und sage mir selbst immer wieder, daß sie zu mir gehören, daß sie okay sind und es nicht wichtig ist, was andere denken. Immer wieder, bis ich es eines Tages wirklich glaube.

Ich weiß, was du jetzt sagen willst – sag‘ es lieber nicht. Diese Träume waren nicht groß genug, doch was dir fehlte ist unterm Strich: nur ein lachendes Gesicht auf der andern Seite des Spiegels, ein bisschen Stolz auf deinen Schultern, denn das steht dir gut. Das seltsame Gefühl, daß all dein Glück nicht unverdient ist, der alte Glanz in deinen Augen und ein bisschen Mut.
Gisbert zu Knyphausen, „Morsches Holz“

(Titel von Gisbert zu Knyphausen, „Melancholie“)

Es _ist_ nicht wichtig, was irgendwer denkt (auch, wenn es manchmal trotzdem schmerzt). Die Narben sind da und ein Teil von dir, das ja – aber du bist so viel mehr als nur dieser Aspekt, und das zählt, nichts sonst.
<3

Es muss Menschen geben, die da sind und sich zeigen und weitermachen und enttabuisieren. Ich weiß gar nicht, ob das jemals deine Ambition war, aber du tust es autoamtisch.

Es wird immer ein Thema sein, dein Leben lang, auch von Fachseite aus. Aber du gehst damit um und rennst nicht weg.

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