20. November 2016

To the wind that blows, the ship that goes and the lass that loves a sailor.

Sie war's: Taren | am: 20.11.2016 | 19:46 | Stempel: erlebt, maritim | Keine Gedanken »

Der Wind, der mir scharf ins Gesicht weht, schmeckt nach Regen, Meer und Kälte. Unter meinen Füßen ist nur das etwa fingerdicke Fußpferd der Vorroyalrah, und in der kühlen Luft sind meine Finger, die mit den fest gebundenen Zeisern kämpfen, steif und grobmotorisch. Als ich nach diesem ersten Aufentern ins Rigg wieder an Deck steige, entdecke ich mehrere blutende Wunden auf meinen Handrücken – das Rigg, welches ich drei Jahre lang nicht betreten habe, rächt sich für die Missachtung. Und ich? Ich fühle mich, als würde ich zum ersten Mal seit Jahren wieder Luft bekommen, als wäre ich endlich, endlich wieder ganz erwacht.
Ich weiß nicht, wie genau ich eigentlich die letzten Jahre gelebt habe, wie ich es geschafft habe, auszuhalten, daß ich nicht an Bord eines Schiffes war. Der Alltag, die Arbeit – ja, natürlich. Viele kleine Ersatzhandlungen: die Modellschiffe, der SpoBo, andere Freizeitaktivitäten. Erst jetzt, nach vierzehn Tagen mit Planken unter meinen Füßen, Tampen in den Händen, die meine weiche Doktorandenhaut in Leder und Schrunden verwandeln und mit dem weiten, unendlichen Atlantik um uns herum spüre ich, wie sehr mir das Segeln, das Schiff gefehlt hat. Wie sehr ich selbst mir gefehlt habe, dieses Ich, das nur an Bord eines Schiffes so lang und klar und einfach ist.
Alles, was in diesen Tagen zählte, waren sehr klare und einfache Dinge: wann habe ich das nächste Mal Wache? Wie ist das Wetter, wie ist der Wind? Welche Segel haben wir gesetzt? Wann gibt es das nächste Mal Essen? Wo genau sind wir? Sind Delphine zu sehen? Sterne? Meeresleuchten? Wo ist dieser riesige orangerote Mond von der letzten Nacht?
Ich habe nächtelang in Hängematten gelegen und mich vom sanften Schaukeln des Schiffs in den Schlaf wiegen lassen. Ich war beinah jede Nacht zwischen 0 Uhr und 4 Uhr an Deck, Ruder gehend, Ausguck gehend, mit meiner Wache lachend und scherzend und lernend und Geschichten erzählend und gemeinsam wach. Ich habe Sternschnuppen gezählt und unzählige Wünsche in die Nacht geflüstert. Ich war nachts bei Wind, der in Böen Windstärke 8 hatte, hoch oben auf der Bram und habe Segel beigefangen. Ich habe im Rigg gearbeitet, stundenlang in meinem Klettergurt gehangen und mit Hüsing und Draht hantiert, ich habe mich vom Seegang bei meterhohen Wellen durch die Kombüse schleudern lassen, habe Plätzchen gebacken, bin früh morgens aufgestanden, vor dem Wecken, nach nur zwei Stunden Schlaf, um für die Crew und einen besonderen Matrosen heiße Schokolade zu kochen. Ich wurde im Klüvernetz von Wellen überspült und von Rasmus mehr als einmal gebadet, ich war bei Kap Finisterre im Meer schwimmen und habe in La Coruna in einer Hafenkneipe eine Runde geschmissen. Als hätte ich in diesen zwei Wochen für Monate gelebt.

Jetzt spüre ich die Sehnsucht nach dem Schiff, nach der See und nach den Menschen beinah körperlich auf der Haut. Und doch, trotz dieses Fehlens, ist das Glück dieser zwei Wochen eingraviert in mein Lachen, steckt tief in meinem Bauch und lässt mich strahlen, wenn ich nur daran denke. Und es gibt Pläne, wundervolle Pläne, bald wieder an Bord zu gehen.

„Wir verstecken uns dort, wo die Zukunft uns nicht findet.
Überall, nur nicht daheim.“
Spaceman Spiff – Egal

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