beobachtet

08. September 2011

Arbeitswege.

Taren • am 08.09.2011 um 23:06 in beobachtet
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Morgens ist die Ruhr oftmals ganz ruhig. Himmel und Wolken spiegeln sich in dem stehenden Wasser, einzelne Vögel sitzen ruhend auf den Staustufen kurz vor der Schwimmbrücke, und ich lächle im Vorbeifahren aus der Bahn heraus der alten Zeche und dahinter dem Fluß entgegen, der jeden Tag ein anderes Gewand trägt. Nebel über der glatten Haut, dann wieder Schaumkronen und Kreise der Regentropfen, die die Oberfläche zerbeißen.
Hinter der Brücke, die so schmal ist, daß nur ein Auto darüberfahren kann, beginnt ein Naturschutzgebiet mit Wiesen und kleinen Waldstückchen, in welchem eine Herde Auerochsen beheimatet ist. Sie scheinen scheue Tiere zu sein, denn in den sechs Wochen, in denen ich zweimal täglich dort vorbei fuhr, habe ich sie nur selten gesehen, vielleicht fünf oder sechs Mal. In den letzten zwei Wochen waren sie gänzlich verschwunden, und ich fürchtete schon, die riesigen dunklen Leiber mit den geschwungenen Hörnern gar nicht mehr zu sehen, bevor mein Weg mich wieder in den Norden führt, doch – heute morgen, im Dunst und Nieselregen waren sie plötzlich wieder da, unbeweglich neben den Gleisen, mit stoischer Ruhe kauend. Stille geht von ihnen aus, Genügsamkeit und ein Hauch von Irrealität, weil sie so antik, alt und zeitverrückt wirken, wie sie plötzlich da sind und dann nachmittags und die nächsten Tage wieder unauffindbar.

Auch heute sind die Wiesen wieder leer, als ich nachmittags nach einem langen Tag in der Klinik zurückfahre. Auch in der Zeche „Wohlverwahrt“ sind die Tore geschlossen, die eine Sammlung wunderschöner Oldtimer verbergen und auf der Rückfahrt sehnsüchtig von mir erwartet werden, voller Neugier, welches Schmuckstück ich heute zu sehen bekomme. Nur die englischen Fahnen grüßen von den geschlossenen Fenstern durch den Regen hinüber. Trotzdem lehne ich mich lächelnd zurück – morgen ist ein neuer Tag, eine weitere Möglichkeit, Ausschau zu halten – wenn auch dieses Mal die letzte. Sechs Wochen sind wahrlich schnell vergangen, trotz aller kleinen Ärgernisse und Frustrationen. Eine lehrreiche Zeit.
Und vielleicht, ganz vielleicht, kann ich mich morgen von den Urzeittieren noch verabschieden – und wenn nicht, ist es auch gut. Sie zieht kein Schicksal, kein Wunsch, sie sind manchmal einfach da, mitten im Ruhrgebiet.

05. Mai 2011

Manchmal..

Taren • am 05.05.2011 um 09:46 in beobachtet
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..sind es die Kleinigkeiten des Alltags, die verzaubern. Sonne auf einer Apfelsaftflasche beispielsweise.

Seht ihr das Glühwürmchen? (=

07. März 2011

Frühlingsbeginn.

Taren • am 07.03.2011 um 12:39 in beobachtet, denken
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Und wieder einmal brennt die Sonne vor dem Fenster die letzten Schatten davon. Eine Nacht voll Schlaf, aufwachen, weil ein einzelner Lichtstrahl vorlaut meine Nase kitzelt, und Musik – und wenn ich dann in mich hinein horche, still lausche, was mein Herz flüstert, dann ist das bohrende Unbehagen des gestrigen Tages schon wieder verflogen, und nur noch von fern winkt ein Hauch der Unsicherheit und Traurigkeit, die doch gestern Abend noch so präsent in mir tanzten.
Die Zeit vergeht so schnell, und was früher für Tage und Wochen in mir herrschen konnte, mitleidslos und grausam, was nach dem Erwachen mich direkt wieder hart in die Kissen preßte, ist jetzt schon ein paar Stunden später nur eine letzte Ahnung. Irgendwie fehlt es mir auch, manchmal ist es schade, daß meinen Ängsten und Traurigkeiten die Dauer fehlt, und doch ist es auch gut.
Und so lache ich in das geöffnete Fenster, atme die sonnendurchflutete Luft und lächle wieder, ungeachtet des Vergangenen, das mich jetzt viel weniger berührt.

03. Januar 2011

What remains?

Taren • am 03.01.2011 um 23:11 in beobachtet, erlebt
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Alles, was übrig bleibt, wenn sich die Tür hinter den Menschen schließt, welche die letzten Tage, die letzten Wochen so lebenswert, intensiv und hell gemacht haben, die da waren, unkompliziert und angenehm, wenn Krankheit und Erinnerung und Seltsamkeiten die Umwelt schwierig gestalteten, die mich nahmen, wie ich bin, und auch so annahmen, alles, was bleibt, wenn sie diese meine kleine Welt wieder verlassen und in ihre zurückkehren, ist Stille und Kälte, und diese gewissermaßen sogar wörtlich.

Und auch, wenn mir jetzt warm ist, auch, wenn ich weiß, daß sie nicht ganz verloren sind, daß sie trotz der Entfernung zwischen uns an mich denken und mich gern haben, trotz all diesem Wissen ist es jedesmal ein kleiner Schmerz, ein kleiner Verlust. Und die Stille summt und pocht in meinen Ohren, und meine Haut ist so unendlich dünn. Sie fehlen, jeder von ihnen, jeder einzelne, der mir die Zeit des Übergangs, des Vertrauerns und Zurückerinnerns dieses eine Mal angenehm machten.

Ich danke euch dafür.

07. Dezember 2010

Weißer, ewiger Himmel.

Taren • am 07.12.2010 um 10:41 in beobachtet, gefragt
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Es ist, als würde die Welt warten, lauschen, gespannt und still. Und ich sitze hier und warte mit ihr, lausche hinaus, in diese Welt aus Schnee, Eis und Tauwasser, Eiszapfen und gefrorener Poesie.
Immer wieder vergesse ich die Zeit, und erwache jeden Tag ein dutzend Male aus einer Verträumtheit, die ohne Traumbilder auskommt, nur Gefühl und Moment und Winter. Kerzen, dampfender Tee, frisch gebackene Kekse und eine Landschaft aus Zuckerguss und Eiskristallen, Vorhänge aus fallenden Flocken und inneres Schweigen, das alles ist jetzt, ist hier, ist wirklich, so viel wirklicher als dieses vage Pflichtgefühl, das zwischendurch das Bewußtsein sendet, daß der Tag noch Aufgaben und Termine beinhaltet.
Es ist keine Lethargie, sondern eine Besinnung und Einkehr, kein Verharren, sondern ein Wachsen an Stille und Raum und Gegenwart. Und so sitze ich mit Decke und Kakao und Schokolade und wohliger Wärme und schaue hinaus, und akzeptiere, daß im Moment meine oberste Priorität nicht die Arbeit ist. Doch so ist es gut.

24. November 2010

Till the sky falls down.

Taren • am 24.11.2010 um 09:47 in beobachtet
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Draußen fällt der Regen, fein und endlos, in unzähligen Tropfen und Gestalten. Eine Welt wie dickflüssige Bitterschokolade, die Luft klar, feucht und kalt. Sehnsucht nach dem Schnee des gestrigen Tages, als Abwechslung zum Herbstgrau, als Verheißung von Winter, Eis und heißem Glühwein.
Und doch ist es wieder nur Regen, der die Welt mit Farblosigkeit verschleiert und die Stadt ertränkt.

03. November 2010

November.

Taren • am 03.11.2010 um 19:53 in beobachtet, denken
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Es gibt kaum eine Jahreszeit, einen Monat, der so voll Extreme und Wankelmut ist wie dieser. Der graue Himmel über der Stadt hängt tiefer als sonst, drückt mit nichtssagender Eintönigkeit jedes Lachen zu Boden, was sich doch einen Weg durch die Melancholie des Herbstes hindurchbahnte. Kaum den Lippen entwichen fällt es kläglich hinab, von Regentropfen und Wind abgerissen und zerstreut. Melancholie hingegen blüht und gedeiht, ein wachsendes Unkraut in den Gesichtern der Menschen, welche, die Hände tief in den Taschen vergraben, blicklos vorbeihasten. Morgens das warme Bett zu verlassen und in das kalte Zwielicht hinein aufzustehen wird immer schwerer, und die Dunkelheit frisst viel zu schnell schon nachmittags Konturen und Licht.
Und doch wird grade im Kontrast zu diesem allumfassenden, scheinbar immerwährenden Grau der Tage jede Freude, all diese kleinen Zauber des Alltags umso strahlender, umso heller. Freunde und Abende voller Gemeinschaft und Wärme sind Leuchttürme in einem stürmischen Meer, ein nettes Wort, ein Lächeln läßt plötzlich den Sommer ins Herz zurückkehren. Es wirkte wie Magie, als auf dem Heimweg plötzlich Glockenspielklang, Trommeln und Kinderlachen mit dem Wind meine Ohren berührten, und schwankende Lichter zogen lindwurmartig durch den Park. Überrascht verharrte ich, dann eilte ich zum nächsten Eingang in den Park und lief hinein. Fackelschein, leuchtende bunte Gesichter, Märchenszenen, Sonnen und Monde wurden da getragen, ein langer Zug, dessen Anfang und Ende nicht absehbar waren. Lieder, die aus Kindertagen noch vertraut sind, begleiteten den Wind, und mit einmal war die Nacht viel heller als zuvor. Staunend beobachtete ich, lächelnd, wie immer mehr und mehr Laternen mit ihren stolzen Besitzern an mir vorbeizogen, und tief in mir drin lachte und jubelte das Kind, was ich einst war, und beneidete die anderen um das Licht in ihren Händen.

14. Juli 2010

Nachtmahre.

Taren • am 14.07.2010 um 20:56 in beobachtet, verzaubert
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Nacht über der Stadt. Von fern klingt ein Nebelhorn herüber, als die Fähre nach Schweden ablegt. Dunkles Blau lässt Silhouetten verschwimmen.

Meine Musik lädt mich zum träumen ein. Das Semester neigt sich gewaltig dem Ende zu, und ich werde „meine“ Stadt im Norden dann für sechs lange Woche verlassen. Keine Möwen, kein Meer, kaum Wind. Seit mittlerweile drei Jahren lebe ich quasi ununterbrochen an der Küste, und es wird mir fehlen. Der Himmel ist so viel weiter hier.

Ich freue mich auf den Regen heute Nacht. Eine gespülte, saubere Welt, Luft wie klares Glas. Hoffentlich werde ich dann davon wach.

14. Juni 2010

Aufbrüche

Taren • am 14.06.2010 um 23:52 in beobachtet, bitterschokolade, erkannt
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Der Himmel hier oben im Norden ist doch anders. Er erstreckt sich höher und weiter, ist irgendwie größer, farbiger, zerrissener. Kaum ist die magische Grenze Hamburg passiert, sieht man an Baumkronen und Gräsern, wie der Wind auffrischt. Am Horizont malt Petrus mit härteren Farben, und stahlblau nähert sich im Osten die Nacht, während blutend und traurig der Tag im Westen entschwindet. Eine schmale Mondsichel, wie aufgehängt und dort vergessen, verliert sich in den verschwimmenden Rottönen, und über allem wacht ein einsamer Stern. So einen Himmel gibt es nur im Norden.
Eine wundervoll intensive blaue Stunde empfing mich in meiner (Wahl-)Heimatstadt. Hier gibt es wieder nur Busse, und deren Taktung ist so niedrig nachts, daß mich mein Weg nach Hause doch auf meinen eigenen Füßen erwartete, was jedoch angesichts der Melancholie und Wehmut in der Dämmerungszeit hier in dieser grautrüben Stadt nicht störte. Es ist deutlich kühler hier, windiger, abweisender – aber ich fühle mich daheim. Und es ist auch schön, nach Hause zu kommen.

Das Wochenende war wieder einmal bereichernd und nachdenklich. Zwei wunderbare Abende mit so unterschiedlichen Menschen, intensive Gespräche, und immer dazwischen lange Stunden Zeit für mich im Zug. Da ich meine Musik in Kiel vergessen hatte, war da so viel Raum zum nachdenken, was teilweise gut, teilweise auch schwierig war. Besonders die fünfstündige Rückfahrt heute barg viele Gedanken in sich. Es ist ein seltsamer Schritt, wieder in die Psychiatrie in diesem Sommer, es ist ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß ich erneut Tag für Tag, sechs Wochen lang, in diesen Gebäuden, Umgebungen, Situationen stecken werde. Der Rundgang heute, auch über die Geschlossene, das „Sightseeing“, wie es mein Führer scherzhaft nannte, war spannend, interessant und – seltsam. Irgendwie sind solche Stationen überall gleich, und doch immer unterschiedlich. Es ist gut, daß dort die Räumlichkeiten so anders sind, sonst wäre es vermutlich schwieriger.
Auch so wird es schwer genug, auch das wurde mir heute mit Nachdrücklichkeit bewusst. Ich muss nicht nur den Anforderungen des Alltags genügen, lernen, arbeiten, freundlich, höflich und besonnen sein, ich muss dazu noch mit meinen eigenen Dämonen kämpfen, und das so, daß es niemand mitbekommt, vor allem nicht die Patienten. Ich muss meinen eigenen Ängsten begegnen, ich werde dort vor und mit ihnen musizieren, und dabei meine eigenen Hemmungen zurückstellen. Es wird nicht leicht, aber lehrreich – eben ein „Seitenwechsel“…

08. November 2009

Zugfahrt

Taren • am 08.11.2009 um 21:46 in außen, beobachtet
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Eine Welt zieht vor dem Panoramafenster vorbei. Durch die Schwärze der Nacht treten andere Konturen hervor – erleuchtete Quadrate, Lichtpunkte, Laternen und Leuchtschriften. Eine Küche an einer Hausecke, antik und gemütlich, mit weiß-grünen Kacheln an den Wänden, und nur ein paar Sekunden weiter rote Samtvorhänge vor einem Kronleuchter. Eine festlich angestrahlte Kirche, eine Ladenzeile, dann folgt tiefe Dunkelheit. Feld, Wald? Es ist nicht zu sehen.
In der Ferne Autoscheinwerfer, weiß und rot, und auf dem Nachbargleis durchschneit viel zu hell ein anderer Zug die Nacht. Geblendet wende ich den Blick ab, will den anderen stillen Beobachtern nicht in die Gesichter sehen.
So anonym wie ich.
Orange und gelb grüßen Ortschaften herüber. Keine bleibt lang, sie fliegen vorüber. Natürlich sind dort Menschen, doch weil ich in allem Wissen und Erfahren immer in mir selbst eingeschlossen bin, bleiben sie nur theoretische Ahnungen.
Eine erste Lichterkette an einem Baum oder Busch illuminiert die kommende Jahreszeit. Ein Bahnsteig mit einem alten, langhaarigen Mensch darauf, einem küssenden Pärchen, für das ich als stille Beobachterin gar nicht existiere. Werbung für gute Abwehrkräfte.
Was hat dieser Kerl mit dem bunten Sombrero wohl noch vor? Was sucht die Frau am Boden in ihrer Handtasche? Schon ist die Szene, schon sind die Menschen, die für diesen einen Moment Teil meines Lebens waren, wieder daraus verschwunden. Schwärze umgibt mich.
Wie kleine Leuchttürme tauchen Fenster voll Licht darin auf und erlöschen wieder. Meine Gedanken wandern, zurück nach Harburg, zurück zu diesem Kuß.
Und auch wenn ich heute nichts für die Uni getan habe, war dieser Tag genutzt und schön wie kaum ein anderer.

20. Oktober 2009

54° 27′ 17″ N 10° 11′ 47″ E – Leuchtturm Buelk, Strande

Taren • am 20.10.2009 um 15:05 in beobachtet, maritim
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Einhundertachtzig Grad offene See, eine endlose Weite. Irgendwo hinterm Horizont locken die dänischen Inseln, dort, wohin der Wind weht.
Ein trahlend blauer Himmel spannt sich über die weißen Schaumkronen, die vereinzelt mit den Wellen spielen. Brausend bricht sich die Gischt an den Lahnungen. Rote und grüne Tonnen weisen eine Straße auf dem Meer aus, einige Segler kreuzen dazwischen, nutzen den Herbsttag. Wenn der Wind die letzten Blätter von den Bäumen gerissen hat, ist es todesmutig, noch hinauszufahren, aber heute – nein, noch lockt das Wasser. Zwischen ihnen spielen Motorboote und Fähren, ein müder Großsegler flieht in die ruhigen Wasser der Förde. Möwen lassen sich treiben.
Hinter mir, an der Öffnung der Bucht, steht weißschwarzweiß der Bülker Leuchtturm, draußen auf dem Meer leuchtet rotweißrot der Kieler. Ich möchte an ihm vorbei in die Unendlichkeit fliehen, mit dem Wind reisen. Doch der Winter zwingt Seemänner an Land.
Nur die Brandung rauscht an der Mole.

08. Oktober 2009

54° 21′ 38.41″ N 10° 36′ 3.47″ E Leuchtturm Neuland, Behrensdorf

Taren • am 08.10.2009 um 19:29 in beobachtet, maritim
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Ein Stahl- und Stacheldrahtzaun durchschneidet den Strand, davor, auf der Düne, steht eine einsame Bank. Aus Nordwest dringen die Geräusche von Schüssen und Sprengungen herüber, gelbe Tonnen warnen im Wasser vor dem Truppenübungsgelände. Der Strand ist nicht touristenfein glattgefegt, Steine, Algen, natürliche Überreste des Lebens am Meer säumen den Weg. Tiefe Spuren hinterlassen meine Füße im Sand.
Über allem, vielleicht fünfzig Meter vom Wasser entfernt, tront der Neuländer Leuchtturm, ein sich drehendes Licht gen Norden, Richt- und Hoffnungsfeuer für Schiffe und Seemänner. Vor dem hellwolkigen Himmel wirkt er beinahe schwarz, nur der helle Fleck in seiner Krone ist deutlich zu erkennen. Versonnen bleibt mein Blick daran hängen. Egal, ob auf dem Wasser oder an Land – wenn Du ein Leuchtfeuer siehst, kennst Du den Weg. Ein tröstliches Zeichen in all der Einsamkeit auf den Wellen.

Vergangenheit -